Ein Vermieter will seine Wohnung selbst nutzen - oder sie renovieren, bevor er sie an die Familie gibt. Klingt logisch. Aber ist das auch rechtlich erlaubt? Viele Vermieter glauben, dass sie einfach kündigen und dann machen können, was sie wollen. Das ist ein gefährlicher Irrtum. Im deutschen Mietrecht gilt: Eigenbedarf ist kein Freibrief. Er ist eine Ausnahme - und diese Ausnahme hat strenge Regeln. Wer sie missachtet, riskiert nicht nur eine fehlgeschlagene Kündigung, sondern auch hohe Schadensersatzforderungen.
Was ist Eigenbedarf wirklich?
Eigenbedarf bedeutet: Der Vermieter oder ein enger Familienangehöriger - also Ehepartner, Kinder, Eltern oder Lebenspartner - zieht tatsächlich in die Wohnung ein. Es reicht nicht, dass er es sich „vorstellt“ oder „plant“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mehrfach klargestellt: Der Eigenbedarf muss konkret, glaubhaft und zum Zeitpunkt der Kündigung real vorliegen. Ein Vermieter, der seine Tochter in die Wohnung ziehen lassen will, muss nachweisen können, dass sie tatsächlich dort wohnen will - etwa mit einem Arbeitsvertrag in der Stadt, einer Schulumschulung oder einem geplanten Umzugstermin. Wer nur deshalb kündigt, weil er mehr Platz braucht, aber bereits eine größere Wohnung hat, handelt unrechtmäßig.Wie funktioniert die Kündigung bei Eigenbedarf?
Die Kündigungsfrist hängt von der Dauer des Mietverhältnisses ab. Wer nach drei Jahren kündigt, muss drei Monate Vorlauf einhalten. Nach fünf Jahren sind es sechs Monate. Bei einer Mietdauer von mehr als acht Jahren beträgt die Frist sogar neun Monate. Diese Fristen sind gesetzlich festgelegt - und dürfen nicht durch den Mietvertrag gekürzt werden. Ein Vertrag, der „Kündigung mit einmonatiger Frist bei Eigenbedarf“ vorsieht, ist unwirksam.Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und den Grund „Eigenbedarf“ klar benennen. Dazu gehört eine detaillierte Begründung: Wer zieht ein? Warum genau diese Wohnung? Wann soll der Umzug stattfinden? Werden Kinder aus dem Ausland zurückgeholt? Wird ein Pflegefall betreut? Je konkreter, desto besser. Vage Aussagen wie „Ich brauche die Wohnung für meine Familie“ reichen nicht.
Renovierung ist kein Eigenbedarf - das ist der entscheidende Unterschied
Viele Vermieter verwechseln Eigenbedarf mit Modernisierung. Sie kündigen mit der Begründung: „Ich mache die Wohnung komplett neu, dann zieht meine Tochter ein.“ Das funktioniert nicht. Der BGH hat in mehreren Urteilen klargestellt: Renovierungsarbeiten allein sind kein zulässiger Kündigungsgrund. Wenn die Wohnung auch mit Mieter saniert werden kann - etwa durch gezielte Reparaturen, neue Böden oder einen neuen Anstrich -, darf der Vermieter nicht kündigen. Der Eigenbedarf muss die eigentliche Ursache sein, nicht die Renovierung. Wenn der Vermieter später beweisen muss, dass er die Wohnung tatsächlich für sich oder ein Familienmitglied braucht, aber sie stattdessen an einen neuen Mieter vergibt, droht ihm eine Klage - mit Schadensersatz von mehreren Tausend Euro.
Was passiert mit Renovierungsverpflichtungen des Mieters?
Ein wichtiger Punkt: Selbst wenn der Vermieter wegen Eigenbedarf kündigt, gelten die vertraglichen Pflichten des Mieters weiter. Hat der Mieter im Mietvertrag vereinbart, die Schönheitsreparaturen selbst durchzuführen - also Wände streichen, Fußböden erneuern, Heizkörper abmontieren -, dann muss er das auch tun, wenn er auszieht. Das gilt, solange die Reparaturfrist abgelaufen ist und die Klausel rechtswirksam ist. Der BGH hat 2019 entschieden: Eine solche Klausel ist nur gültig, wenn sie den Umfang genau beschreibt - etwa „Wände in allen Räumen alle drei Jahre neu gestrichen“ - und keine pauschalen, unverhältnismäßigen Pflichten enthält.Das bedeutet: Der Mieter muss nicht alles auf den neuesten Stand bringen. Er muss nur das erledigen, was im Vertrag steht. Ein Vermieter, der nach der Kündigung verlangt, die Wohnung „wie neu“ zu machen, obwohl der Vertrag nur „Anstrich“ vorsieht, handelt unrechtmäßig. Viele Mieter wissen das nicht - und zahlen unnötig.
Sperrfristen: Was Vermieter nicht tun dürfen
Es gibt Situationen, in denen Eigenbedarf komplett untersagt ist. Wenn eine Wohnung aus einer Eigentumswohnung umgewandelt wurde - also aus einem Haus mit mehreren Eigentümern einzelne Wohnungen verkauft wurden -, gilt eine Sperrfrist. Der neue Eigentümer darf mindestens drei Jahre lang nicht wegen Eigenbedarf kündigen. In Berlin und einigen anderen Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt ist diese Frist auf bis zu zehn Jahre verlängert. Diese Regelung soll verhindern, dass Investoren Wohnungen kaufen, Mieter rauswerfen und dann die Wohnung wieder vermieten - nur mit höherer Miete.Was viele nicht wissen: Diese Sperrfrist gilt nur, wenn das Mietverhältnis bereits vor der Umwandlung bestand. Wer nach der Umwandlung neu einzieht, hat keinen Schutz. Aber wer schon seit 2018 in der Wohnung lebt und die Wohnung 2023 in Wohnungseigentum umgewandelt wurde, darf nicht einfach rausgeworfen werden - selbst wenn der neue Eigentümer sein Enkelkind einziehen lassen will.
Praktische Tipps: Was Vermieter wirklich tun sollten
1. Keine Vorratskündigung: Wer noch keine Baugenehmigung hat, keine konkreten Pläne für Umbauten vorlegt und nicht sagen kann, wer genau einzieht, handelt riskant. Ein Gericht kann die Kündigung als „unzulässige Vorratskündigung“ abweisen.2. Renovierung nicht als Vorwand nutzen: Wenn die Wohnung renoviert werden muss, dann kündigen Sie nicht. Machen Sie die Arbeiten mit dem Mieter ab. Ein neuer Anstrich, neue Fliesen im Bad, ein moderner Heizkörper - das geht alles, ohne dass jemand ausziehen muss. Viele Mieter sind sogar bereit, kleine Umbauten zu dulden, wenn sie dafür eine Mietminderung oder eine Beteiligung an den Kosten bekommen.
3. Verhandeln statt kündigen: Ein „Räumungsvergleich“ ist oft die bessere Lösung. Der Vermieter bietet dem Mieter eine finanzielle Abfindung - etwa 1.000 bis 3.000 Euro -, wenn er freiwillig früher auszieht. Der Mieter spart sich Stress, der Vermieter bekommt die Wohnung schneller. Das ist legal, üblich und vermeidet Gerichtsverfahren.
4. Besichtigungsrecht ist kein Einbruch: Nach der Kündigung hat der Vermieter das Recht, die Wohnung zu besichtigen, um Renovierungspläne zu erstellen. Aber er muss das mit Respekt tun. Ein Anruf, ein Termin, eine Absprache - das ist der Standard. Wer unangemeldet hineingeht, macht sich strafbar.
Was Mieter tun können, wenn sie ungerechtfertigt gekündigt werden
Wenn ein Mieter eine Eigenbedarfskündigung erhält, die ihn verunsichert, sollte er nicht einfach aufgeben. Er kann:- Die Begründung prüfen: Ist der Eigenbedarf konkret genug? Wer zieht ein? Wann?
- Prüfen, ob die Kündigungsfrist stimmt.
- Prüfen, ob die Wohnung vor weniger als drei Jahren umgewandelt wurde (Sperrfrist).
- Sich an den Mieterverein wenden - oft kostenlos.
- Bei Zweifeln einen Anwalt für Mietrecht konsultieren.
Wenn die Kündigung unwirksam ist, bleibt der Mieter in der Wohnung. Der Vermieter muss zudem Schadensersatz zahlen - durchschnittlich 3.200 Euro für entstandene Kosten und 1.800 Euro für den entgangenen Nutzen der Wohnung. Das ist kein kleiner Betrag. Und er muss auch die Anwaltskosten tragen.
Die Zukunft: Strengere Regeln für Vermieter
Seit Anfang 2024 prüfen Gerichte Eigenbedarfskündigungen noch genauer. Besonders in Städten mit Wohnungsnot - wie Berlin, München, Hamburg - werden bis zu 67 % der Kündigungen als unzulässig eingestuft. Die Bundesregierung erwägt, die Kündigungsfrist für Wohnungen unter 60 Quadratmetern von neun auf zwölf Monate zu verlängern. Das soll besonders kleine Wohnungen schützen, die oft von Singles oder Senioren bewohnt werden.Der Deutsche Mieterbund hat 2023 über 1.200 Fälle von missbräuchlichen Eigenbedarfskündigungen dokumentiert. Die meisten betrafen Vermieter, die nach der Kündigung die Wohnung sofort an einen neuen Mieter vermieteten - oft zu höheren Mieten. Das ist Betrug am Gesetz. Und die Gerichte fangen an, das ernst zu nehmen.
Der Trend ist klar: Der Mieterschutz wird stärker. Vermieter müssen immer genauer begründen. Wer denkt, er könne einfach kündigen und dann machen, was er will, irrt sich. Der Gesetzgeber hat ein ausgewogenes System geschaffen - aber es funktioniert nur, wenn beide Seiten sich an die Regeln halten.
Darf ein Vermieter wegen Eigenbedarf kündigen, wenn er schon eine andere Wohnung hat?
Nein. Der Vermieter muss nachweisen, dass er tatsächlich mehr Wohnraum benötigt - etwa durch Familienzuwachs, Pflegebedürftigkeit oder einen Jobwechsel in die Stadt. Wer bereits eine größere Wohnung besitzt und nur deshalb kündigt, weil er die Mieterwohnung modernisieren will, handelt rechtswidrig. Der BGH hat mehrfach klargestellt: Eigenbedarf bedeutet echte Notwendigkeit, nicht bequeme Umstände.
Muss der Mieter nach einer Eigenbedarfskündigung renovieren?
Nur, wenn im Mietvertrag eine wirksame Schönheitsreparaturklausel steht und die Frist abgelaufen ist. Der Mieter muss dann nur das erledigen, was im Vertrag steht - etwa Wände streichen oder Heizkörper abmontieren. Er muss nicht die ganze Wohnung neu machen. Wer mehr verlangt, handelt unrechtmäßig. Ein BGH-Urteil von 2019 hat klargestellt: Pauschale oder überzogene Renovierungspflichten sind unwirksam.
Wie lange muss ich warten, nachdem ich eine Eigentumswohnung gekauft habe, bevor ich wegen Eigenbedarf kündigen kann?
Mindestens drei Jahre, wenn das Mietverhältnis bereits vor der Umwandlung in Wohnungseigentum bestand. In Berlin, Hamburg und einigen anderen Städten mit starkem Wohnungsmangel beträgt die Sperrfrist bis zu zehn Jahre. Diese Regelung soll Mieter vor schneller Verdrängung schützen. Wer nach der Umwandlung neu einzieht, hat keinen Anspruch auf diese Frist.
Kann ich als Vermieter den Mieter zwingen, die Wohnung vor dem Auszug zu renovieren?
Nur, wenn die Renovierungspflicht im Mietvertrag steht und rechtswirksam ist. Der Vermieter kann nicht einfach neue Anforderungen stellen - etwa „alle Wände müssen weiß gestrichen sein“ oder „neue Fliesen im Bad“. Der Mieter muss nur das erledigen, was im Vertrag steht. Wer das ignoriert und den Mieter bedroht, riskiert eine Klage wegen Belästigung oder Schadensersatz.
Was passiert, wenn ich wegen Eigenbedarf kündige, aber die Wohnung später doch nicht selbst nutze?
Dann ist die Kündigung unwirksam - und der Mieter kann bleiben. Zudem kann er Schadensersatz verlangen: bis zu 3.200 Euro für entstandene Kosten und 1.800 Euro für den entgangenen Nutzen. Wenn der Vermieter die Wohnung sofort an einen neuen Mieter vergibt, handelt es sich um einen Betrug am Gesetz. Gerichte bestrafen das mit hohen Geldstrafen und Anwaltskostenübernahme.